[als ich Torwächter in einem niederländischen Schloss war]

0 Views· 08/11/23
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Vor fast dreissig Jahren arbeitete ich eine zeitlang als Torwächter in einem niederländischen Schloss. Ich weiss wirklich nicht mehr, wie ich an jene Stelle kam. Ich war Anfang zwanzig, hatte keine Ausbildung, kein Abi, nebst Häuser zu besetzen und Kurzgeschichten zu schreiben wusste ich nicht so recht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, zuvor jobbte ich mehrere Monate in einer Tiefkühlzelle eines Grosshandelszentrums, aber davon rann mir ständig die Nase, das konnte auf Dauer nicht gut für meine Gesundheit sein, später trat ich eine Stelle als Käseschneider in einer Fabrik an. Ich schnitt 20Kg-Blöcke Fetakäse zu kleinen Würfeln, die ich dann mit Salzwasserlake in eine supermarktfertige Plastikdose legte, Datumsstempel draufklebte und ab damit auf die Europaletten. Wenn ich nicht Käse schnitt, dann füllte ich mittlegrosse Plastikdosen mit einer Zwiebelmarinade, die man im nächsten Verarbeitungsprozess mit Fetakäsestückchen ergänzte. Abends ging ich in die Kneipen, nahm ab und zu Speed, Schreiben war in diesem Zustand meist eher lähmend, aber in Utrecht besetzten wir ständig Häuser, ich war sehr gut darin, alte Türen aufzubrechen. Ansonsten war meine Existenz ziemlich inhaltlos. Mich für ein Studium oder eine Ausbildung aufzuraffen lag mir schlichtweg nicht, ich merkte aber auch, dass ich mit meinen Kurzgeschichten kein Geld verdienen würde, klar könnte ich Glück haben, ein Buch zu schreiben, das sich millionenfach verkauft, aber ich wusste meine Chancen immer schon sehr gut einzuordnen. Alternativ hätte ich mich abschiessen können, was in meinem Umfeld eben viele taten, also weitersaufen, Chemikalien nehmen und ein bisschen seinen Gang gehen, manche nahmen sich später das Leben oder warteten bis das Leben sich ihrer nahm, aber dafür war ich immer zu gut gelaunt, ja das klingt komisch, aber ich war halt immer gut drauf, auch wenn ich bis 4 Uhr morgens betrunken in der besetzten Kneipe kellnerte, fuhr ich trotzdem um sieben Uhr in die Fabrik und schnitt acht Stunden lang Käse. Von den Jobs konnte ich aber einigermassen okay leben, also wesentlich besser als die anderen Menschen um mich herum, die entweder von der Sozialhilfe zogen oder studierten. Irgendwann setzte ich mir schliesslich in den Kopf, dass ich Dudelsack spielen wollte, also kaufte ich mir einen Dudelsack. Das bereitete mir ziemlich lange viel Freude und so weckte ich meine alte Leidenschaft für Burgen und Mittelalter wieder auf. Als Kind war ich nämlich ein ausgesprochener Burgenkenner und wusste alles über alpenländische Burgenanlagen und die dazugehörige Geschichte, vor allem die Periode ab etwa 1100 bis zur Renaissance. Daran knüpfte ich mit meinem Dudelsack einfach wieder an, der Dudelsack, den ich mir anschaffte, war keine schottische Bagpipe, sondern ein mitteleuropäisches, besser gesagt, an die Tradition Flanderns orientiertes Instrument. Die Dudelsäcke, wie man sie auch von den Gemälden Pieter Bruegels kennt. Das waren die Instrumente der Troubadoure bzw der Wandermusiker und klangen wesentlich weicher, wobei auch diese natürlich sehr laut klangen, die Melodiepfeife eines Dudelsacks ist schliesslich eine Schalmei mit einem harten Doppelrohrblatt, sowas kann man gar nicht leise spielen. Das muss der Link gewesen sein, warum ich an den Job in dem Schloss geriet. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, dass ich Ausschau nach Arbeit in einem Schloss gehalten hatte. Nach einem Jahr in der Käsefabrik schmiss man mich nämlich wieder raus. Zuerst hatte man den Teamleiter gefeuert, dann machte man mich zum Teamleiter und irgendwann feuerte man eben mich. Ein paar Wochen später war ich Torwächter im Kasteel de Haar, westlich von Utrecht. Kasteel de Haar ist eine romantisierte neogotische Burganlage, die um 1900 herum auf eine mittelalterliche Ruine aufgebaut wurde. Eigentlich verachtete ich solche romantisierten Schlösser, ich akzeptierte nur richtige Wehrburgen, aber man gab mir den Posten als Torwächter und daraufhin konnte ic

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